Mein Beruf ist, anderen Geschichten zu erzählen. Ich muß sie erzählen. Ich kann es nicht lassen, sie zu erzählen. Ich erzähle den andern Geschichten von anderen. Oder ich erzähle meine Geschichten mir selbst oder anderen. Ich erzähle sie mit anderen menschlichen Wesen auf der Bühne. Wenn es diese Bühne aus Holz nicht gäbe, würde ich sei auf dem Fußboden erzählen, auf einem Platz, auf einer Straße, in einer Ecke, auf einem Balkon, hinter einem Fenster. Wenn keine menschlichen Wesen um mich wären, würde ich sie mit Holzstücken, Stofffetzen aus geschnittenen Papierfiguren, Blech oder mit jeder anderen auf der Welt vorhandenen Materie erzählen. Wenn nichts vorhanden wäre, würde ich mit lauter Stimmer erzählen, und wenn ich keine Stimme hätte, würde ich mit den Händen, mit den Fingern erzählen. Und wenn ich keine Hände und Finger hätte, würde ich mit dem übrigen Körper erzählen. Ich würde stumm erzählen, ich würde unbeweglich erzählen, mit Schnüren auf einer Bildwand, an einer Rampe. Ich würde auf jede nur erdenkliche Art erzählen, denn für mich ist das Wichtige, anderen, die zuhören, zu erzählen.
Versteht ihr nicht, daß das Mittel, mit dem man erzählt, nur ein Zwischenglied, eine Verdinglichung, ein Vorwand dafür ist, mit anderen über die Dinge sprechen zu können, die in einem sind? Was redet ihr mir von Theater, Film oder ähnlichem! Auf einem Stuhl sitzen, der zwanzig Meter über oder Erde an einem gespannten Seil aufgehängt ist, auch das wäre eine Art zu erzählen, was der Mensch allein dort oben auf seinem Sitz, machen kann. Erzählen, daß er existiert, daß er das Gleichgewicht hält, daß er herunterfallen kann, daß er Angst hat und sie nicht zeigen will, und abertausend andere Dinge. Versteht ihr das ? Das Entscheidende aber ist, daß es mir nicht mehr wichtig ist, versanden zu werden.Mir genügt es, wenn man mir zuhört.
(Nach Giorgio Strehler)