Münstersche Zeitung, 17.09.2009
Günter Moseler
“Bagatellen in verklärter Nacht”
Konzert: Musik-Auftakt im Lackmuseum
Münster: Manchmal entscheiden Sekunden das Dasein. Der zufällige Blick, der die Freundschaft fürs Leben besiegelt, das richtige Wort im letzten Augenblick, der rettende Griff von Hand zu Hand. Auch in der Musik genügten oft ein paar Sekunden – und schon begann die Welt eine neue musikalische Zeit zu erfinden.
Anton Weberns (18831945) „Sechs Bagatellen” op. 9 (1911/13) spukten im Halbe-Minuten-Takt durch den Japanraum des „Museums für Lackkunst”, eine hundertjährige Musik mit dem Elan eines Teenagers. Die Reihe „Zur Zeit des Jugendstils” in Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Münster illuminierte im ersten Konzert die „Verklärte Nacht in Wien”, und nichts hätte die grandiose Krise der Musik um 1900 weniger bagatellisieren können als Weberns Bagatellen. Helge Slaatto und Shin-Hye Park (Violinen), Anette Slaatto (Viola) und Magdalena Wolf (Violoncello) artikulierten deren flüchtige Gesten mit dichter Intensität, während die Musik an-deutungshaft klang, mitunter ins Unhörbare abtauchte und doch zugleich von unerhörter Schärfe blieb.
Finden zwischen Tonalität und Atonalität. Die Interpreten boten eine Darstellung, die das (Ab)Schweifende dieses Werks mit der Vorschrift „düster lind schwer” hochexpressiv ausbalancierte. Gedichte von Stefan George und Richard Dehmel, von Sibylle Bertsch einfühlsam rezitiert, durchdrangen jene zitternde Espenlaub-Atmosphäre, deren hemmungsloser Verinnerlichung die Musik zielsicher auswich, diejenigen Rainer Maria Rilkes dagegen hielten ihre Höhe und Dringlichkeit spielend.
Verklärte Nacht
Die Wiederholung der „Bagatellen” nach der Pause war ein gelungener konzertanter Clou auf hohem Niveau.
Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht” für Streichsextett op. 4 stürmt gegen die Jahrhundertwende an wie gegen Revolutionsbarrikaden. Mit Svenja Ciliberto (Viola) und Elisabeth Fürniss (Violoncello) spielten die Musiker hier den stürmischen Impetus kühn aus, verstrickten sich nicht in der Üppigkeit des Stimmengeflechts. Begeisterter Beifall für ein tolles Konzert!”